Zwei Worte beschreiben die Kernbotschaft des Osterfestes: Jesus lebt! Doch wird sie heute noch verstanden? Können die Menschen damit etwas anfangen? Ein Gespräch dazu mit dem Freiburger Liturgiewissenschaftler Stephan Wahle:
„Jesus lebt!“ oder „Der Herr ist auferstanden!“ – Viele Menschen, die kirchlich nicht mehr beheimatet sind, können mit dieser Botschaft von Ostern wohl kaum etwas anfangen. Was ist Ihre Einschätzung?
Stephan Wahle: Wenn ich als Wissenschaftler darauf antworte, muss ich die Ergebnisse der empirischen Forschung wahrnehmen. Und die sind eindeutig. Der Glaube an die Auferstehung ist selbst unter denjenigen, die kirchlich engagiert oder sozialisiert sind, gar nicht so stark ausgeprägt. Wenn man es weiter fasst mit der Frage: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod, findet man etwas mehr Zustimmung. Fakt ist, dass christliche Glaubensinhalte wie die leibliche Auferstehung und alles, was mit Vorstellungen über das endzeitliche Leben bei Gott zusammenhängt, keineswegs so selbstverständlich mehr geglaubt werden. Hier hat schon lange ein großer Wandel stattgefunden.
In einem Interview haben Sie gesagt, die Kirche habe es kaum geschafft, die Osterbotschaft so neu zu verbreiten, dass sie als lebensfähige Botschaft ankommt. Was meinen Sie damit?
Stephan Wahle: Der Glaube hat sich geschichtlich stets so ausgebildet, dass etwa zu einem Gottesdienst oder zu einem christlichen Fest viel mehr gehört als nur die Erfüllung einer religiösen Pflicht. Ein Beispiel: Mit dem Gang zum oder vom Sonntagsgottesdienst verband man lange Zeit auch und vor allem ein geselliges Zusammenkommen. Das heißt, der Gottesdienst war eingebettet in ein größeres soziales Setting, wie auch immer das der Einzelne empfunden hat. Das kann man heute noch beim Weihnachtsfest sehr gut nachvollziehen. Wenn Sie im Advent durch die Straßen gehen, weihnachtet es fast allerorten. Auch wenn viele Rituale und Traditionen nicht mehr Ausdruck eines christlichen Bekenntnisses sind, hat sich die Weihnachtsbotschaft immerhin ausgebreitet in den Alltag – raus aus den Kirchen hinein ins Haus und in die Gesellschaft. Häusliches Brauchtum und öffentliche Präsenz gab es auch an Ostern, aber bei weitem nicht so stark wie zu Weihnachten, vor allem seit seinem Wandel zum Familienfest im 19. und 20. Jahrhundert. Das ist zunächst einmal eine Beobachtung, dass Inhalte etwa von Weihnachten fortleben auf – manche nennen es säkulare Art und Weise, man kann vielleicht aber auch sagen, auf eine populär-religiöse oder spirituelle Art und Weise. Wohingegen Ostern ein Phänomen bleibt, was innerkirchlich die zentrale Rolle spielt und gewiss auch noch eine öffentlich-gesellschaftliche Bedeutung hat – allerdings bei weitem nicht so wie Weihnachten. Der Kirche ist es also anscheinend nicht so gelungen, die Osterbotschaft mit ganz allgemeinen menschlichen Fragen, Sehnsüchten, Wünschen und Erwartungen zu verknüpfen.
Haben Sie eine Vermutung, woran das liegen könnte?
Stephan Wahle: Sicherlich gibt es mehrere Gründe. Zunächst einmal ist ja Ostern nicht nur der eine Ostersonntag, sondern es ist ein großes Fest, welches mit dem Gründonnerstagabend beginnt. Das heißt, es sind verschiedene Feiern, auch mit verschiedenen theologischen Inhalten. Nehmen wir mal den Karfreitag, den Tag der Kreuzigung Jesu. Wenn man danach fragt, was eigentlich mit dem Kreuz an Botschaft verbunden ist, wie sie beispielsweise in Liedern und Gebeten transportiert wird, dann spielt eine ganz große Rolle die Aussage: Jesus ist für die Sünden der Menschen gestorben und hat sich selbst als Versöhnungsopfer gebracht, um die Schuld zu begleichen, die der Mensch auf sich geladen hat. Nehmen wir nur mal diesen Aspekt – das ist etwas, was sehr, sehr schwer zu transportieren ist: die Frage von Opfer, von Sünde und Schuld, von Sühneleistung und Erlösung. Natürlich nimmt auch der moderne Mensch wahr, dass er nicht perfekt ist, dass er fast tagtäglich hinter seiner Würde zurückbleibt und sich selbst und anderen gegenüber schuldig wird. Aber die Vorstellung, dass dort jemand stellvertretend für die Sünden der Menschen stirbt, das ist etwas, was überhaupt nicht so leicht zu verstehen ist und was anscheinend auch existenziell nicht mehr eingeholt wird, also keine Lebensrelevanz entfaltet. So fehlen nicht selten neue Sprachfiguren oder neue Denkmuster, um die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu verständlich zu machen. Das ist das eine. Das andere ist: Die Auferstehungstexte der Bibel sind bei weitem nicht so erzählerisch, dass man sie spontan auswendig vortragen könnte. Eine Ausnahme bildet für mich der Ostermontag mit der Geschichte der beiden Jünger von Emmaus, die mit Jesus unterwegs sind, ihn aber zunächst gar nicht erkennen, sondern erst als sie bei Tisch sitzen und zusammen essen und trinken. Das ist eher eine lebensnahe, verständliche und auch poetische Erzählung, in der man sich selbst und sein eigenes Leben wiederfinden kann. Die Kernaussage der anderen Auferstehungstexte dagegen ist eher knapp und schwer zu fassen: Jesus lebt, er ist nicht mehr bei den Toten und er ist den Jüngerinnen und Jüngern erschienen. Doch: Was heißt dieses „Erscheinen“, was heißt es, dass das Grab leer ist? Wie muss ich mir jenen verklärten Leib vorstellen, mit dem der Auferstandene den Menschen begegnet? Das sind Sprachbilder, bei denen es meiner Meinung nach noch nicht gelungen ist, sie zu übersetzen in unsere heutigen Anfragen und Vorstellungsweisen vom Leben und vom ewigen Leben.
Was wäre eine lebensfähige Botschaft von Ostern, die die Menschen heute verstehen könnten?
Stephan Wahle: Wenn ich mir als theologischer Wissenschaftler anschaue, welche Antworten die mediale Öffentlichkeit selbst gibt, dann finde ich es interessant wahrzunehmen, dass da teilweise Inhalte reinkommen, die nicht unbedingt mit der Osterbotschaft zu tun haben, z. B. das Thema Frieden oder soziale Gerechtigkeit. Das sind Themen, die eigentlich der populären Weihnachtsbotschaft entwachsen sind. Anscheinend weicht man auf Motive aus, die nicht unbedingt zum Kern der Osterbotschaft gehören; man wählt Seitenwege, die gesellschaftlich und existenziell anschlussfähiger sind. Das tun auch die Bischöfe, das tut auch der Papst in seiner Osterbotschaft, wo er mit dem Glauben an die Auferstehung z. B. zugleich einen sozialen Impuls vermittelt, dass Auferstehung nichts mit Jenseitsvertröstung zu tun hat, sondern dass Ostern freisetzt. Das Thema der Freiheit würde ich sehr, sehr stark machen – also dass wir seit Ostern jetzt schon in dieser Welt als befreite Menschen und daher mit Engagement leben können und nicht resignieren müssen, weil unser ganzes Tun und Leisten letztlich keinen Sinn hat.
Statt „Jesus lebt!“ also besser …
Stephan Wahle: Vielleicht sollte man sagen: Jesus lebt, und deshalb sollt auch ihr leben! Jesus will das Leben und nicht den Tod. Er will das Leben hier und jetzt und nicht das, was dem Leben an Unfreiheit, Trägheit und Egoismus entgegengesetzt wird. Deshalb könnte man vielleicht auch sagen: Jesus lebt, damit ihr frei seid. Etwas in dieser Richtung könnte ich mir sehr gut vorstellen.
Eine Hoffnungsbotschaft für eine Welt, die von Leid, Gewalt und Spaltung geprägt ist.
Stephan Wahle: Ja genau. Es braucht eine leidsensible Osterbotschaft, nicht nur eine sündenfixierte. Das ist der große Unterschied, den schon viele Theologinnen und Theologen entwickelt haben, nämlich das Thema der Erlösung nicht nur als Erlösung von den Sünden zu sehen, sondern auch als Befreiung von Leid und Ungerechtigkeit. Diese Botschaft nimmt wahr, dass mit Jesu Tod und Auferstehung Leid kein Ende hat, aber sie zeigt, dass man dennoch nicht verzagen muss, sondern dass man eine gewisse Form der Gelassenheit einnehmen darf, weil das Letzte nicht von mir, sondern von jemand ganz anderem abhängt. Deshalb: Beide Tage, der Karfreitag und Ostersonntag, müssen miteinander interagieren. Die frühen Christinnen und Christen feierten im Ostergottesdienst die Passion, die Auferstehung, die Himmelfahrt und das Pfingstereignis als eine große Feier durch die Nacht bis zum Anbruch des Ostertages. Erst später hat sich das eine Ostergeschehen in die verschiedenen Facetten aufgelöst und auf die drei österlichen Tage aufgeteilt. So ist die dramaturgische Einheit des Triduums mit der grundlegenden Dynamik vom Tod zum Leben, von der Unfreiheit zur Freiheit nicht mehr als ein Geschehen erlebbar und erfahrbar. Wenn es heutzutage in den großen Pastoralräumen nicht mehr möglich ist, an allen Orten die Feiern des Triduums zu begehen, wäre es bedenkenswert, zu dieser ursprünglichen Form der einen Feier von Tod und Auferstehung zurückzukehren und den Ostergottesdienst mit der Botschaft vom Kreuz zu beginnen.
Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de
Bild: Christiane Raabe In: Pfarrbriefservice.de