2023 – An Morgen glauben
Weihnachten, Jahreswechsel, neues Jahr 2023: Für viele Menschen Grund, zurück zu blicken und voraus zu schauen. Das jetzt zu Ende gehende Jahr war und ist geprägt von Krisen, nichts als Krisen: Klima, Pandemie, Energie, Inflation, Kriege, Situation in der Kirche, … um nur die wichtigsten zu nennen. Eine Krisenprognose jagte die nächste und jede klingt düsterer als die vorherige. Die Medien konfrontieren uns fast täglich damit, vieles trifft uns sehr konkret, wir spüren es am eigenen Leib.
„Es ist zu viel und es geht zu schnell! Das alles überfordert uns“, sagt der Soziologe Armin Nassehi, Professor an der Uni München, „eigentlich müssten wir schnell und mutig handeln, wir hätten auch das Wissen und die Werkzeuge dazu. Gesellschaften sind aber viel träger, als wir denken. Wir regen uns kurz und meist heftig auf, wir sind auch betroffen, aber dann geht es wie gewohnt weiter. Wir schützen so unseren Alltag. Schlimme Meldungen gab es immer, selten aber unterbrechen sie länger unsere Alltagsroutine“.
„Die vielfältigen Krisenszenarien und jetzt auch noch die Bedrohung der internationalen Friedensordnung – das sind dramatische Enttäuschungserfahrungen, die unserem Wunschbild von der Zukunft zuwiderlaufen“, so Andreas Holzem, Theologe an der Uni Tübingen, „Das verstört uns. Viele teilen die Sorge, sie könnten sich auf die bisherige Ordnung nicht mehr verlassen“.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach gar von einer „Zeitenwende“, ohne allerdings näher zu definieren, was das konkret heißt, bzw. welche realen Konsequenzen das für Staat, Gesellschaft und den Einzelnen hat. Das politische „Geschäft“ geht aber trotzdem – mindestens so der Eindruck – unverändert weiter. Das Gehirn des Menschen und damit auch des Staates und der gesellschaftlichen Gruppierungen sei faul und möchte am liebsten alles so belassen, wie es ist, habe ich in einer Abhandlung gelesen. Veränderung ist anstrengend und kostet Energie. Neues macht zunächst Angst, weil wir nicht wissen, was auf uns zukommt. Dann bleiben wir lieber im „gemütlichen Elend“ und machen so weiter, wie wir es gewohnt sind. Keinesfalls will ich die Krisen und deren Auswirkungen auf viele Menschen klein reden oder verharmlosen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat uns schwierige Zeiten prognostiziert. Wollen und können wir aber bei diesen eher pessimistischen Gedanken und Überlegungen über das zu Ende gehende Jahr stehen bleiben und diese gar in das Neue Jahr 2023 mitnehmen? Wie reagiere ich, wie reagieren wir als Christen, die wir ja die Botschaft Jesu haben, die Hoffnung und Zuversicht schenken will? Zweifellos gibt es vor allem „in der großen Welt“ vieles, was wir als Einzelne nicht verändern können, aber in unserer eigenen „kleinen Welt“ können und müssen wir uns Herausforderungen stellen und Schritte gehen, die für uns möglich sind, auch wenn solche Schritte unbequem sind und Aufwand fordern.
„Die Hände in den Schoß legen“, „laufen lassen, weil es immer so war“, „sich ängstlich und melancholisch im eigenen Kämmerlein verkriechen“ widerspricht der Botschaft Jesu. „Ihr habt zwar nun Traurigkeit“, heißt es im Johannesevangelium, „aber ich will euch wieder sehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen“ (Joh 16,22). Diese verheißene Freude bedeutet für mich Hoffnung. Hoffnung haben, zuversichtlich nach vorne zu schauen hat absolut nichts zu tun mit „Augen vor der Realität zu verschließen“, sondern ist echte Herausforderung, auch wenn ein positives Ergebnis nicht sicher ist. „Hoffnung heißt auch leiden an der Wirklichkeit, heißt aber auch Leidenschaft für das trotzdem Mögliche.“ (Sören Kierkegaard)
Fulbert Steffinsky, evangelischer Theologe und Autor, schreibt in einem Aufsatz: „Hoffnung ist nicht die Garantie eines guten Ausgangs, nicht der Glaube an den guten Ausgang der Welt. Es garantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde nicht irgendwann kollabiert. Aber wir können tun, als hofften wir. Hoffen lernt man auch dadurch, dass man handelt, als sei Rettung möglich. Hoffnung heißt vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun. – Die Nahrung der Hoffnung ist das Gebet.“
Zwei Gebete sind für mich hilfreich, wenn ich an das kommende Jahr denke:
Gott gebe mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Er gebe mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich tatsächlich ändern kann. Er gebe mir die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden. (Reinhold Niebur)
Und das Gebet der Vereinten Nationen, das Stephen Vincent Bennet schon 1942 formuliert hat:
Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.
Gott, gib uns Mut und Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen.
Wir alle haben Talente und Fähigkeiten bekommen, die wir nutzen und nicht vergraben sollen, es ist an uns, unsere positiven Ressourcen zu wecken und daraus zu handeln, nicht nur für uns, sondern auch für Menschen, die uns brauchen. Ich versuche es mit Adolph Kolping, dem Priester und Begründer des weltweiten Kolpingwerkes, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Zeiten auch sehr schwierig waren, seinen Freunden zugerufen hat: „Nur mutig vorwärts, Gott wird für die Zukunft sorgen!“
(Erwin Rudolph, Foto: pixabay)